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Frühe Reise ins Kriegsgebiet

Stuttgart, 17. März 2023. Als Ukrainerin, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, wollte Victoria Mozer nach Ausbruch des Krieges ihren Landsleuten helfen. Dreimal begleitete sie Hilfsgütertransporte in die Ukraine. Jetzt sammelt sie Geld für den Wiederaufbau der zerstörten Kindergärten in ihrer Heimatstadt Ochtyrka.

„Ich war eine der ersten, die mein Freund Simon Nowotni vom Verein Ermstal Hilft fragte, ob ich Hilfsgüter in die Ukraine bringe und Flüchtlinge abhole, also bin ich gefahren“, erinnert sich Victoria Mozer kurz und konzentriert zurück an ihren ersten Transport wenige Tage nach Ausbruch des Krieges. Es war eine spontane Entscheidung, bei der das Gefühl stärker zu Wort kam als der Verstand. Immerhin herrschte Krieg. Zwei mutige Männer begleiteten Victoria, für die drei war es eine Fahrt ins Ungewisse. „Wir wussten nicht, was uns erwarten würde, ob wir gut durchkommen, ob wir Schikanen erleben, ob es gefährlich wird, ob wir gar unser Leben aufs Spiel setzten. Wir wussten nur eines: Wir wollten helfen“, berichtet die stellvertretende Vorsitzende des PDUM, die in der Nähe von Stuttgart lebt.

Fahrt ins Ungewisse

Um es kurz zu machen: Das Schlimmste blieb ihnen erspart, aber Angst hatten sie während der ganzen Reise: „Es war alles noch so frisch, und es herrschte überall ein großes Durcheinander. Wir mussten immer schnell handeln, weil wir nicht absehen konnten, wie sich der Krieg entwickelt.“

Nicht viel besser war es auf der zweiten Reise einen Monat später in anderer Zusammensetzung. Wegen der gefährlichen Umstände wollten Victoria und ihre Begleiter ihre Mission – Hilfsgüter hinbringen und Flüchtlinge mitnehmen – so schnell wie möglich hinter sich bringen. „Wir gönnten uns nur wenig Schlaf, waren übermüdet und echt am Limit.“

Erst die dritte Reise im Mai, mit zehn Tagen doppelt so lang wie die beiden vorangegangenen Touren, brachte etwas Entspannung: „Der Krieg dauerte nun schon drei Monate und war Alltagsrealität. Die Ukrainer und wir wussten damit umzugehen.“

Wohlwollen an den Checkpoints

An den Grenzen gab es unschöne Erlebnisse, aber – und das ist, was für Victoria zählt – die Menschen an den Zielorten waren sehr nett. „Ob Krankenhaus, Feuerwehr, Polizei, Stadtverwaltung oder Privatleute, alle zeigten sich dankbar für die Hilfe aus Deutschland. Sie bewirteten uns und sorgten für eine Unterkunft.“

Gute Erfahrungen machten die deutschen Helfer mit den Wachleuten an den Checkpoints: „Wir haben sie als gebildet, höfflich und sehr zuvorkommend erlebt.“

Doch lassen wir Victoria mit einem Beispiel selbst zu Wort kommen:

„Im April war die Lage angespannt. Sirenen heulten täglich, man lebte in Erwartung des Angriffs. Wir hatten eine lange Reise hinter uns. Nach der Übergabe eines Röntgengeräts in Bolgrad mussten wir zurück nach Tarutyno, weil wir am Grenzübergang zur Republik Moldau aus formalen Gründen nicht ausreisen durften. Da dies unsere erste Reise ins Land war (im März hatten wir Flüchtlinge an der Grenze abgeholt) und wir die Regeln der Anfahrt an die Checkpoints nicht kannten, sorgten wir für viel Aufruhr, als wir dort spätabends vorfuhren. Inzwischen war es nach 22 Uhr, und die nächtliche Ausgangssperre hatte begonnen, wovon wir aber keine Ahnung hatten.

Als wir den Checkpoint in der Nähe der Stadt Artzys erreichten, herrschte dort zunächst Panik, weil ein Anschlag vermutet wurde. Doch dann erkannten die Diensthabenden unser Fahrzeug von früheren Durchfahrten. Sie wussten, dass wir helfen wollten. Nachdem sie uns die Regeln erklärt hatten, geleiteten sie uns freundlich bis zum Hotel. Wir waren so fertig, dass wir das Sirenengeheul in der Nacht und am frühen Morgen nicht hörten.“

Abschied von einem Freund

Die volle Härte des Krieges bekam Victoria zwar nicht an sich selbst zu spüren, doch stimmt sie ein Verlust in ihrer Umgebung traurig:

„Während der Reise im April traf ich in Ismail an einem Checkpoint einen Bekannten aus der Region Sumy, Sergej Gomenuk, wie ich in Ochtyrka geboren. Bei meinem Besuch im Mai konnten wir uns nicht wiedersehen, da er bereits nahe Cherson stationiert war. Im Dezember ist er dort gefallen. Er wurde auf dem Ehrenfriedhof in Ismail begraben. Das Foto zeigt ihn rechts in Militärkleidung bei der Übergabe des mobilen Röntgengeräts in Bolgrad.“

Die örtlichen Zeitungen berichteten über die Beisetzung:
Пограничник из Измаила Сергей Гоменюк погиб от вражеской мины, светлая ему память - Одесса News (on.od.ua).

Urlaub verbraucht

Eine vierte Reise gab es nicht. Nach jeder Reise waren die Helfer ausgepowert und brauchten eine Woche Zeit, um wieder zu sich selbst zu finden. Auch konnte Victoria aus beruflichen Gründen an keinen weiteren persönlichen Einsatz denken. Sie ist Vollzeit berufstätig und war froh gewesen, dass ihr Arbeitgeber und die Kollegen Verständnis für ihre Hilfstransporte aufbrachten, für die sie ihren Jahresurlaub einsetzte.

Inzwischen war auch das Lager in Stuttgart geleert, in dem Victoria mit Unterstützung der IG Metall Geschäftsstelle Ludwigsburg & Waiblingen die Sachspenden gesammelt und mit Hilfe von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Königin-Olga-Stift sowie Flüchtlingsfrauen und deren Kindern sortiert hatte. In der unteren Bilderslide sind Fotos der Sammelhalle zu sehen.

Wenn sie heute über ihre Hilfstransporte spricht, gewinnen Zuhörer den Eindruck, dass sie an den aufwühlenden Tagen immer noch zu knabbern hat. Kein Wunder, Extremerfahrungen dieser Art legt man nicht mit den Kleidern ab.

Ihre Transporte hat Victoria in den hier angehängten Präsentationen verarbeitet.

Neues Hilfsprojekt: Kitas in Ochtyrka

Aber Ruhe gönnt sie sich trotzdem nicht. Sie hat bereits ein neues Betätigungsfeld entdeckt. In ihrer Heimatstadt Ochtyrka (45.000 Einwohner) im Nordosten der Ukraine wurden durch einen Raketenangriff unter anderem die Kindergärten zerstört (siehe Video). Mit Hilfe des PDUM will sie zum Wiederaufbau beitragen.

Geldspenden auf das Vereinskonto IBAN DE46 5089 0000 0000 9522 06 BIC GENODEF1VBD mit dem Verwendungszweck „Kindergärten Ochtyrka“ sind willkommen und tragen dazu bei, dass die Kinder bald wieder in intakten Räumen spielen und lernen können.

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